Wie alles begann
Vor langer Zeit erhielt ich einen Anruf von einem Anlageberater. Er riet mir, einige Barrel Rohöl an der New Yorker Rohölbörse zu kaufen. Ich hatte damals null Ahnung von Wertpapieren und vom Aktiengeschäft. Und schon gar nicht vom Warenterminhandel. Im Prinzip war dies ein Warentermingeschäft, das mir da angeboten wurde. Der Verkäufer versprach mir das Blaue vom Himmel herunter. Er rechnete mir vor, wie ich sehr schnell sehr viel Geld verdienen könnte. Ich verstand kein Wort. Trotzdem schlug ich zu und ging auf den Deal ein. Ich überwies 3.000 DM (das war damals noch viel Geld für mich) auf das Konto, das mir genannt wurde. „Augen zu und durch“ war meine Devise. Wird schon schiefgehen.
Und es ging schief. Ich hatte noch nicht einmal Anfängerglück. Wie sich bald herausstellte, handelte es sich um einen Betrüger, gegen den die Staatsanwaltschaft bereits ermittelte. Das war aber noch nicht mein dümmster Fehler.
Hin und her macht Taschen leer
Kurze Zeit später begann ich, aktiv mit Aktien und Optionsscheinen zu handeln. Gegenüber Aktien sind Optionsscheine ein ziemlich heißer Reifen, den man da fährt. Mit Optionsscheinen kann man sowohl auf steigende als auch auf fallende Kurse wetten. Man kann also auch Geld verdienen, wenn eine Aktie oder ein Index fällt. Ich möchte dich jetzt nicht mit Einzelheiten darüber langweilen, wie ein Optionsschein funktioniert. Das ist ziemlich staubige und trockene Kost. Nur so viel: jeder Optionsschein hat einen Verfallstermin. Bewegt sich der Kurs des zugrunde liegenden Wertpapiers in die falsche Richtung, ist das Geld futsch. Ich hatte keine Ahnung von Aktien und noch weniger von Optionsscheinen. Trotzdem handelte ich mit beiden. Ich handelte hin und her, kaufte und verkaufte im D-Zug-Tempo. Und hatte großen Erfolg damit. Bald schon waren meine monatlichen Gewinne höher als mein damaliges Gehalt. Und als Diplom-Kaufmann in einem großen IT-Unternehmen verdiente ich nicht schlecht. Ich hielt mich für das größte Finanzgenie meiner Zeit. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Abwärts ging es noch schneller als nach oben. Bald schmolz mein Vermögen dahin wie der Schnee in der Sonne. Aber auch das war weder mein dümmster noch mein zweitdümmster Fehler. Verglichen mit meinen zwei dümmsten Fehlern war es nur eine Lappalie.
Ein neuer Anlauf
Enttäuscht und frustriert kehrte ich der Börse den Rücken. Nie wieder wollte ich etwas damit zu tun haben. „Die Börse ist eine Hure“, sagte ich zu mir selbst. „Erst lockt sie dich mit ihren Reizen und hohen Gewinnaussichten. Dann lässt sie dich einfach abblitzen.“ Die Börse interessierte mich nicht mehr. Ich zeigte ihr sinnbildlich meinen Allerwertesten. Die Jahre gingen dahin. Irgendwann juckte es mich dann doch wieder in den Fingern. Zaghaft begann ich, mich erneut für das Börsengeschäft zu interessieren. Von Optionsscheinen ließ ich die Finger. Ich kaufte nur noch Aktien und Investmentfonds. Ich probierte alles aus. Die Fundamentalanalyse und die Charttechnik. Ich las alles über technische Indikatoren, was ich in die Finger bekam. Ich testete Envelops, Bollinger Bänder, Keltner-Channels, gleitende Durchschnitte, Average True Ranges, den Aaaron-Oszillator, den MACD und, und, und. Ich studierte die Methoden erfolgreicher Investment-Gurus wie Warren Buffet, O`Shaughnessy, Nicolas Darvas, William O`Neill, Peter Lynch, Benjamin Graham und vielen anderen. Viele von mir getestete Indikatoren funktionierten mehr schlecht als recht. Ich gewann und ich verlor. Ich handelte auch die Wirecard-Aktie. Das war ein richtiger Wirtschaftskrimi. Google mal nach „Wirecard“. Sehr interessant! Und sehr frustrierend für jemanden, der die Aktie besaß und den Absprung nicht rechtzeitig schaffte. Die Börsengeschichte dieses Unternehmens wurde sogar verfilmt. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe wirklich alles probiert. Und nichts funktionierte.
Mein dümmster Fehler an der Börse…
Und dann erkannte ich meinen dümmsten Fehler. Ich hatte keine Strategie. Ich hechelte Sensationsmeldungen aus der Presse und dem Internet hinterher. Tipps von Marktschreiern der Börse sog ich gierig auf. Ich ließ mich bei meinen Anlageentscheidungen einfach von der Masse treiben. Mal nutze ich diesen, mal jenen Indikator bei meinen Anlageentscheidungen. Wie die Lemminge tat ich alles so, wie es alle anderen taten. Wurde eine Aktie von Analysten und Anlegern hochgelobt, konnte sie eigentlich nur steigen. Ich kaufte. Wurde sie dagegen schlechtgeredet, hieß es: „Finger weg“. Ich stieg aus. Ich wurde also von Emotionen getrieben und nicht vom Verstand. „Gier frisst Hirn“. Eine alte Börsenweisheit, die ich nur allzu sehr verinnerlichte, ohne es zu wissen. Und da die Börse der beste Lehrmeister für das Leben ist, gilt das gleiche auch im täglichen Leben. Möchtest du zum Beispiel ein Unternehmen gründen, brauchst du ebenfalls eine Strategie, wie du dabei vorgehen willst. Bei der Gründung eines Start-ups heißt diese Strategie dann „Businessplan“. Hast du keinen Businessplan, wirst du keine Bank finden, die dir die entsprechenden Kredite gewährt. Außerdem hast du auch selbst keinen roten Faden, was du in welcher Situation tun sollst. Wenn du beabsichtigst, mehr Sport zu treiben, brauchst du ebenfalls eine Strategie. Welche Art von Sport soll es sein? Wie oft pro Tag oder in der Woche willst du dich sportlich betätigen? Willst du einem Verein beitreten oder eher nicht. Wenn ja, welchem usw. Auch im Berufsleben haben viele Menschen einen Plan, eine klare Strategie. Sie wissen genau, welche Ziele sie in einem Jahr, in fünf Jahren oder in zehn Jahren erreichen möchten.
Also gut: Eine Handelsstrategie musste her. Bis ich eine fand, ging viel weitere wertvolle Zeit ins Land. Ich war glücklich, weil ich endlich eine Strategie, einen roten Faden hatte, die mich wie der Stern von Bethlehem bei meinen zukünftigen Wertpapiergeschäften leitete. Wertpapierhandel frei von Emotionen. Nur noch von meiner Strategie geleitet. Ich spürte im Inneren: das war es, was ich schon immer gesucht hatte. Ich hatte ihn gefunden, den Stein der Weisen. Die Gewinne sprudelten wieder. Ich rieb mir die Hände. Es funktionierte! Meine Strategie funktionierte wirklich! Die Indikatoren meines genialen Systems zeigten mir rechtzeitig, wann ich ein Wertpapier kaufen und – sogar noch wichtiger – wieder verkaufen sollte. Doch dann setzte eine Entwicklung ein, mit der ich gar nicht gerechnet hatte. Die Gewinne schmolzen wieder dahin. Und bald schon wurden meine anfänglichen Gewinne zu Verlusten. Wieder einmal. Ich modifizierte mein Handelssystem mehrmals. Es wollte und wollte nicht klappen. Schließlich verwarf ich es komplett und entwickelte ein neues.
…und mein zweitdümmster
Jetzt erkannte ich meinen zweitdümmsten Fehler: Ich hatte zwar eine Strategie. Aber ich blieb nicht dabei. Bei jedem kleinen Rückschlag bastelte ich an einem neuen System. Ich wechselte meine Handelsstrategie öfter als Giacomo Casanova seine Frauen. Insgesamt zweiundzwanzig Mal hatte ich mein Handelssystem verworfen und ein neues gezimmert. Zweiundzwanzig Mal! Damals wusste ich noch nicht, dass keine einzige Anlagestrategie immer nur von Erfolg gekrönt ist. Die Börse ist nun mal ein ständiges Auf und Ab. Auf eine Hausse (Phase steigender Aktienmärkte) folgt irgendwann unausweichlich eine Baisse (Phase fallender Aktienmärkte). Von den zwischendurch stattfindenden kurzfristigen Auf- und Abwärtsbewegungen ganz zu schweigen. Auch hier gibt es Parallelen zum Leben im Allgemeinen. Auch im Leben gibt es immer wieder „Haussen“ und „Baissen“. Kein Mensch kann nicht immer nur Erfolg haben und glücklich sein. Alle Menschen haben immer wieder auch mal mit Schwierigkeiten, Schicksalsschlägen und Misserfolgen zu kämpfen.
Als ich mein Studium der Betriebswirtschaft begann, bin ich gleich zu Anfang durch einige Prüfungen gerasselt. Habe ich deshalb das Studium geschmissen und ein anderes begonnen? Nein, ich habe einige Feinjustierungen an meinem Studienplan vorgenommen (die Studienfächer gewechselt) und das Studium durchgezogen. Als ich mit dem Karatetraining anfing, habe ich zu Anfang erst mal alles falsch gemacht. Ich habe mich aber durchgeboxt (im wahrsten Sinne des Wortes) und einfach weitergemacht. Es wäre fatal, bei jedem kleinen Rückschlag gleich wieder aufzugeben. Und so geht es auch an den Aktienmärkten nie immer nur nach oben. Daran kann auch das beste Anlagesystem der Welt nichts ändern. Ich überarbeitete also noch ein letztes Mal mein System. Das war`s. Es tat mir in der Seele weh, wie ich zusehen musste, dass ich zwischendurch immer noch Verluste generierte. Aber ich wusste: auf Schatten folgt auch wieder Licht. Und dann geschah das Wunder. Die Verluste wurden immer kleiner, die Gewinne immer größer. Das Festhalten an meiner Strategie hatte sich gelohnt. Verlustphasen habe ich immer noch. Aber das gehört zum Spiel. Man kann nicht immer nur gewinnen. Heute halte ich es mit Andrè Kostolany, dem großen Börsenaltmeister. Der hat einmal gesagt: „In 51 Prozent aller Fälle liege ich richtig, zu 49 Prozent greife ich daneben. Und von den 2 Prozent Unterschied lebe ich.“ Er wurde Multimillionär.
Fazit
Alles, was du brauchst an der Börse und im Leben, ist eine funktionierende Strategie. Und den festen Willen, daran festzuhalten. Auch, wenn es mal schwierig wird. Übrigens: Ich werde meine Strategie auf diesem Blog veröffentlichen. Bleib also dran. Es lohnt sich!